Ein Magier kommt nie zu spät …

Das eigene Paradigma ist für einen Magier ein Gegenstand von größter Bedeutung, da dessen bewusste Veränderung das Potential größter magischer Macht in sich birgt.

Das ist auch einer der Gründe, warum die meisten Magier der eigenen Introspektion einen hohen Stellenwert einräumen und dieser entsprechend Zeit widmen. Denn will man Einfluß auf das eigene Paradigma nehmen, muß man es erst einmal gründlich kennen.

Otto Normalbürger würde, auf die spontane Frage nach dem eigenen Paradigma, vermutlich erst einmal eine Weile angestrengt überlegen müssen, um dann das eine oder andere Bruchstück seiner Weltanschauung sicher verortet zu haben. Dies ist ein Punkt, in dem sich die meisten Magier, von ihren Mitmenschen unterscheiden und bereits ein Teil des Paradigmas des Magiers. 

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Wenn nämlich das eigene Paradigma über die besagte Macht verfügt und die eigene Realität formt, so stellt sich natürlich beim Studium des Okkulten die Frage, wie sich das Paradigma gestaltet, dass einen zu einem Magier macht. 

In einer Phase derartiger Überlegungen kam mir immer wieder das folgende Zitat von Gandalf aus Herr der Ringe in den Sinn: „Ein Zauberer kommt nie zu spät, Frodo Beutlin. Ebensowenig zu früh. Er trifft genau dann ein, wann er es beabsichtigt.“¹ Zugeben ich bin eigentlich ein ziemlicher Pünktlichkeitsfanatiker und senke schon mal die Hörner des Widder ab, um den Weg frei zu machen, wenn sich jemand oder etwas meinem pünktlichen Erscheinen in den Weg stellt. Der Satz kam mir aber insbesondere immer dann in den Sinn, wenn Verzögerungen unvermeidlich waren, wie z.B. als ich kürzlich in einem unerwarteten Verkehrsstau geriet. Spontan machte ich für mich versuchsweise daraus, „… so, so, ich habe mich also entschieden in diesen Stau zu fahren, dann wollen wir doch mal sehen, was mir jetzt in Folge durch die Verzögerung passiert und begegnet, dass mir ansonsten nicht begegnet wäre, da ich ja nicht zu dieser Zeit an diesem Ort gewesen wäre. Muss ja was Wichtiges oder zumindest Interessantes gewesen sein, sonst hätte ich das ja nicht so entschieden.” Mit der so durch den Perspektivwechsel aufgerufenen Gegenwärtigkeit und gespannten Erwartung, schien nicht nur ich für den sonst aufsteigenden Ärger keine Angriffsfläche mehr zu bieten, sondern auch, als wenn etwas Hinter den Kulissen nur auf diesen Augenblick gewartet zu hätte. Fast einen Tag lang folgte nun eine Synchronizität der nächsten, alle Ereignisse griffen präzise wie die Zahnräder eines Uhrwerkes ineinander und es schien, als wäre jedes Erlebnis für mich maßgeschneidert, so daß ich mir am liebsten ein Schild mit der Aufschrift “supported by nature” um den Hals gehängt hätte. Ich lebte bewusst in meinem Paradigma des Magiers. 

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Doch nach und nach entglitt mir dieser Zustand wieder, da ich mich zu sehr von dem definieren und damit fesseln ließ, was von Außen auf mich einwirkte, statt achtsam in mir zu Ruhen. Denn die Herausforderung des beschriebenen Paradigmas besteht darin, jeden Moment mit bewusster Absicht zu leben und den Grad, in dem wir uns gewohnheitsmäßig, automatisch und unbewusst verhalten, immer weiter zu reduzieren. 

Dies aber verlangt einen Zustand des bewussten Wahrnehmens und Handelns, in dem wir unser ganzes Können dem widmen, was auch immer wir in diesem Augenblick tatsächlich erleben oder tun.

In unserer gegenwärtigen Welt ist es für uns üblich geworden, Routineaufgaben wie das Fahren zur Arbeit automatisch zu erledigen, während wir gleichzeitig versuchen, die Nachrichten im Radio zu hören, darüber nachzudenken, was bei der Ankunft bei der Arbeit getan werden muss und unverarbeitete Emotionen aus einem Gespräch mit dem Partner vergangene Nacht noch einmal zu reflektieren. Allzu oft versuchen wir, mit einer Vielzahl von Aktivitäten, Gefühlen und Sorgen zu jonglieren, ohne zu erkennen, dass wir dadurch unmöglich einer dieser Angelegenheiten ein wirklich angemessenes Maß an Aufmerksamkeit schenken können. Infolgedessen machen wir Fehler, kommen durcheinander, verhindern wirkliche Lernprozesse, vergessen oder übersehen Dinge, beurteilen Situationen falsch, missinterpretieren die Handlungen und Worte anderer und werden dadurch möglicherweise sogar noch in weiterreichende Komplikationen verwickelt.²

Die einzige Lösung für dieses Muster besteht darin, sich so weit wie möglich auf eine Sache zu konzentrieren und sich stets nur einem Thema nach dem anderen zu widmen. Magische Achtsamkeit richtet den Fokus ausschließlich auf die jeweilige Aufgabe, egal wie einfach oder routinemäßig sie auch sein mag. Um achtsames Verhalten zu üben und damit wirkliche Kontrolle über sein Paradigma zu erlangen, fange in diesem Moment an auf deine Sinne zu achten. Beachte die Farben, Formen, Texturen, Temperaturen, Bewegungen, Geräusche, Gerüche und Geschmäcker, die an deiner  unmittelbaren Situation beteiligt sind. Anstatt sie zu analysieren oder zu bewerten, sollten sie dir einfach so bewusst wie möglich sein. Achte neben deinen Sinnen auch darauf, wie du emotional reagierst. Was fühlst du in deinem Bauch und in deinem Herzen? Leite dein Denken so, dass es sich auf die aktuelle Situation ausrichtet. Handelst du mit bewusster Absicht oder automatisch? Lässt du dich von verirrten Gedanken ablenken? ²

Wenn du beginnst deine Achtsamkeit zu schulen und bewusst das Paradigma des Magiers zu üben, könntest du zunächst das Gefühl haben, dass es dich in deinem Tun verlangsamt, dass du weniger Zeit hast darüber nachzudenken und all die Dinge zu tun, die du tun willst. Chronos, der für den nicht enden wollenden Lauf der Zeit steht, verändert nun sein Angesicht und Kairos, der Gott des rechten Zeitpunktes, tritt als dein neuer Wegbegleiter mit dir in den gegenwärtigen Augenblick ein und verweilt bei dir, solange du verweilst. 

Und vielleicht, wenn du dich das nächste Mal „entscheidest” in einen Stau zu fahren, wartet Kairos dort schon auf dich, um dich daran zu erinnern, dass du genau jetzt zur rechten Zeit am rechten Ort bist.

Wer bist du?
Ich bin Kairos, der alles bezwingt!
Warum läufst du auf Zehenspitzen?
Ich, der Kairos, laufe unablässig.
Warum hast du Flügel am Fuß?
Ich fliege wie der Wind.
Warum trägst du in deiner Hand ein spitzes Messer?
Um die Menschen daran zu erinnern, dass ich spitzer bin als ein Messer.
Warum fällt dir eine Haarlocke in die Stirn?
Damit mich ergreifen kann, wer mir begegnet.
Warum bist du am Hinterkopf kahl?
Wenn ich mit fliegendem Fuß erst einmal vorbeigeglitten bin,
wird mich auch keiner von hinten erwischen
so sehr er sich auch bemüht.
Und wozu schuf Euch der Künstler?
Euch Wanderern zur Belehrung.“

(Poseidippos von Pella) ³

Quellen:

Wikipedia – Kairos

Einzelnachweise:

¹ J.R.R. Tolkien – Der Herr der Ringe. Erster Teil: Die Gefährten – Ernst Klett Verlag, Stuttgart, 1969 

² Chuck Dunning Jr. – Contemplative Masonry – Basic Applications of Mindfulness, Meditation, and Imagery for the Craft – Stone Guild Publishing, 2016

³ Johannes Gründel – Lexikon für Theologie und Kirche. Band 5: Hermeneutik bis Kirchengemeinschaft, Herder, Freiburg im Breisgau 1996


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